Station G

Entwicklung der Textilproduktion

 

Entwicklung der Textilproduktion in Gescher

Die Herstellung von Leinen hatte in Gescher eine lange Tradition. 1827 lebten im Ort 870 Einwohner, davon arbeiteten 44 hauptberuflich als Leinenweber. In den Bauerschaften waren 351 Landwirte nebenher als Weber tätig. Die flachen feuchten Wiesen im Berkeltal eigneten sich gut zum Bleichen der Gewebe. In den 1830er und 1840er Jahren entstanden in Gescher viele Hauswebereien. Dort wurde in Lohnarbeit zunehmend Baumwollgarn verarbeitet. „Verleger“ verrechneten die importierten Garne mit den fertigen Tuchballen und verkauften diese im In- und Ausland. Stellvertretend genannt seien hier die Verleger Huesker & Butenberg (309 Webstühle), F.J. Eckrodt (118 Webstühle), J. Schulze (100 Webstühle) und Conrad Gescher (85 Webstühle). Dieses System zerbrach, als durch den amerikanischen Bürgerkrieg die Garne ausblieben.

Mit Gründung der mechanischen Weberei H. & J. Huesker u. Co. begann Ende 1861 auch in Gescher die industrielle Revolution. 1905/09 folgte dort die Errichtung der Spinnerei. Aus Verlegern wurden Fabrikanten, aus Heimarbeitern wurden Fabrikarbeiter. Innovationen veränderten Wirtschaft und Gesellschaft und wirkten sich im gesamten Ort aus. Von 1899 bis 1926 versorgte das Kraftwerk der Textilfabrik Huesker auch die Gemeinde mit Strom. Gescher erhielt elektrisches Straßenlicht. 1905 wurde die Fa. Eckrodt gegründet. Nach 1918 entstanden u.a. die Firmen Gebr. Paskert, Greve & Co., A. Huesker & Schmiemann und Ignatz Hagmann. Nach 1945 folgten weitere, darunter auch Hermann Schweers & Co., H. Eing und Gebr. Wittich.

Die heimische Textilindustrie war viele Jahrzehnte der wichtigste Wirtschaftsfaktor in Gescher und prägte den Ort. Trotz Automation und Erschließung neuer Produktionsfelder konnten viele Betriebe der heimischen Textilindustrie im globalen Wettbewerb der 1960er und 1970er Jahre nicht bestehen. Der Fa. Huesker gelang durch die Umstellung auf synthetische Geotextilien der Weg zum Weltmarktführer. Die Weberei Greve produziert erfolgreich Funktionsgewebe. Fa. Eing spezialisierte sich auf Textilveredlung und Handel.

Krise und Verlust der tragenden Rolle der heimischen Textilindustrie veränderte in Gescher die Struktur von Gewerbe und Arbeitsplätzen grundlegend. Zur Kompensation dieser Einschnitte mussten neue Wege gefunden werden. Weitere Ausführungen dazu sehen Sie an der Station B.

Webstube um 1830
1. Mechanische Weberei um 1863
In der Weberei Greve um 1910
Weberei Eckrodt um 1920
Dampfkessel für Fa. Eckrodt, 1930
Erweiterung der Fa. Eckrodt
Spulerei Eing um 1950
Textilverarbeitung in Nähereien
Zentrum der Textilindustrie

Textilindustrie – Beispiel Firma Huesker

Textilindustrie – am Beispiel der Firma Huesker

1861 wurde unter dem Namen „H. & J. Huesker & Co.“ die erste mechanische Baumwollweberei in Gescher gegründet.

1863 erstellte das junge Unternehmen am damaligen Ortsrand, nahe der Berkel, ein Fabrikgebäude mit modernster technischer Ausrüstung. Schon fünf Jahre später waren dort 200 Webstühle in Betrieb. Seit 1869 verfügte die Firma über die erste Telegrafenstation in der Region. 1885 errichtete man ein eigenes Kraftwerk zur Stromversorgung des Betriebes. Um sich von Zulieferungen von Garnen unabhängig zu machen wurde 1905 eine Spinnerei neu gebaut und bereits 1909 auf die doppelte Größe erweitert.

Um 1913 arbeiteten in Spinnerei und Weberei etwa 610 Personen. 1923 wurde zur Optimierung der Produktionsabläufe eine neue Weberei erstellt und in den Folgejahren mit modernen Weberei-, Spulerei- und Schlichtereimaschinen ausgerüstet.

1958 erkannte das Unternehmen die guten Aussichten synthetischer Materialien und begann, neben der traditionellen Produktion, schon Anfang der 1960er Jahre, mit der Fertigung technischer Gewebe für den Wasser- und Tiefbau. Daraus entstand 1973 die HUESKER Synthetic GmbH & Co. Die Mutterfirma drosselte die Produktion von Baumwollgeweben, bedingt durch starke Konkurrenz auch aus Südostasien, und stellte diese 1982 ganz ein. Dem expandierenden Tochterunternehmen gelang es schon bald, diese Lücke zu füllen und sich auf dem internationalen Markt erfolgreich zu etablieren, seit 1991 auch mit einer Niederlassung in den USA.

Diese erfolgreiche Firmenentwicklung konnte bis heute ständig fortgesetzt werden. Inzwischen ist das Unternehmen mit einem Netz von Tochterfirmen und Vertriebspartnern weltweit vertreten und erreichte 2007 erstmals einen Jahresumsatz von über 100 Mio. Euro. Heute ist HUESKER Synthetic ein global operierender Hersteller von Stoffen und Textilien für unterschiedliche Branchen und Einsatzbereiche.

Die von HUESKER Synthetic entwickelten und gefertigten Geotextilien mit Mehrfachfunktionen gelten als Hightech-Produkte und kommen, kombiniert mit innovativen, auf den jeweiligen Einzelfall zugeschnittenen Ingenieurbaulösungen, international zum Einsatz. Mittlerweile umfassen die Anwendungsgebiete der Produkte den Erd- und Grundbau, Straßen- und Verkehrswegebau, Infrastrukturbau, Wasserbau, sowie Projekte der Umwelttechnik und zur Gestaltung neuer Landschaften (Terraforming). Diese Produktlinien haben die Anfänge der Textilindustrie in den 1860er Jahren weit hinter sich gelassen.

Ursprung der Fa. H. & J. Huesker & Co.
Eigene Spinnerei um 1910
Vorarbeiter und „Fabrikmädchen“
Spinnerei in den 1920er Jahren
Mensch und Maschine
Websaal in den 1950er Jahren
Kohlenlieferung
Seit 1990 Baudenkmal
Huesker- Synthetik – Gewebe
die Grundlage der A1 in Polen

Industriedenkmal  Spinnerei

Industriedenkmal Spinnerei

Neben der Pfarrkirche St. Pankratius ist das Spinnereigebäude der Fa. Huesker wohl der eindrucksvollste Bau der Stadt. Zur Zeit des Übergangs vom 19. zum 20. Jahrhundert wandelte sich die heimische Textilindustrie grundlegend. Alle Arbeiten vom Rohprodukt zum fertigen Tuch wurden im Unternehmen konzentriert und importierte Baumwolle in der eigenen Spinnerei zu Garn verarbeitet.

Die Spinnerei H. & J. Huesker & Co. wurde 1905 von den Schweizer Ingenieuren Sequin & Knobel aus Rüti bei Zürich erbaut. Der erste Baukörper wurde schon im Jahre 1909 mit einem Anbau in gleicher Größe so konsequent erweitert, dass man heute kaum zwei Bauabschnitte erkennt.

Das große Gebäude war Funktionsraum, aber auch Aushängeschild des Unternehmens. Hier wurden in mehreren Geschossen in saalähnlichen Räumen Maschinen aufgestellt und mit Dampfkraft über Transmissionen betrieben. Das tragende Gerüst, auch für die dynamischen Lasten, bildete ein Stahlskelett. Weberei- und Spinnereimaschinen liefen mit 613 Beschäftigten im Schichtbetrieb. Reichgegliederte Ziegelfassaden in historisierender Form mit zahlreichen Zinnen, Türmchen und viele, in Reihen angeordnete, Sprossenfenster drückten das Selbstbewusstsein der Fabrikanten aus.

Das Gebäude wurde 1990 als hochkarätiges Industriedenkmal unter Schutz gestellt.

Die Planer, die in Mitteleuropa etwa 200 ähnliche Industriebauten realisierten, ergänzten ihre Gebäude mit richtungsweisender Technik. Dies zeigt besonders das rückwärtig angegliederte Maschinen- und Kesselhaus und der freistehende Kamin. Eine flächendeckende Sprinkleranlage wurde aus einem Hochbehälter im fünfstöckigen Westturm gespeist. Ein Lastenaufzug beförderte Maschinen und Produkte.

Die Einfriedung zur Straße ist, angelehnt an Gestaltungsmerkmale der Hauptfassade, reich gegliedert.

Als das Spinnereigebäude in der Textilkrise der 1980er Jahre längere Zeit ungenutzt blieb, gab es unterschiedlichste Vorschläge, vom Rathaus bis zum Textilmuseum. Aber es kam anders. Gescher baute ein neues Rathaus und das Textilmuseum entstand in Bocholt, übrigens in einem Gebäude, das 1907 von den gleichen Planern entwickelt worden war. Die ursprüngliche Ähnlichkeit beider Gebäude ist überaus frappierend.

Heute arbeiten in diesem historischen Ambiente die Bauingenieure der Anwendungstechnik und der Produktentwicklung. Ein Seminarbereich dient Veranstaltungen und Fortbildungen.

Auch 115 Jahre nach ihrer Entstehung verkörpert die Spinnerei einen wichtigen Teil der Gescheraner Textilgeschichte

Gesamtsituation Huesker um 1910
Rohbau der Spinnerei um 1904
Fertigstellung 1905
Erweiterung um 1910
Schnittzeichnung
Bauplan zur Südansicht
Südseite heute
Nach der Sanierung 2002
Dominante Hauptfassade heute
Gegenstück in Bocholt bis 1945